Markus Rupp, Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion und Bürgermeister Sehr geehrter Herr Landrat, wir stimmen dem Tenor Ihrer Haushaltseinbringung vom 22. November in Marxzell zu: „Haushalt gut, Lage gut, Stimmung schlecht“. In der Tat: Nur 17 Prozent der Deutschen blicken laut einer aktuellen Umfrage mit Optimismus in die Zukunft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Seele neigt scheinbar nur im Sommerurlaub zur Mittelmeer-Heiterkeit, ansonsten doch wohl eher zur „German Angst“. „Die Furcht vor der Gefahr ist schrecklicher als die Gefahr selbst“, beschreibt – wie ich finde - ein afrikanisches Sprichwort das derzeitige Stimmungsbild treffend.
Auch hier im Kreistag ist die Furcht vor der Gefahr ab und zu größer als die Gefahr selbst: Ich erinnere nur an die vermeintlich drohende Apokalypse unserer Kreisfinanzen im Haushaltsjahr 2016. Oder zuletzt an den Wunsch der Freien Wähler, den mittelfristigen Finanzausblick entgegen den Orientierungsdaten des Landes Baden-Württemberg mal schlecht zu rechnen – „Worst-Case“. Aber wo hört „worst“ auf, wo beginnt „good“ und wo „best“, wenn wir nicht den Zahlen der Steuerschätzer trauen?
Dass wir uns nicht falsch verstehen. Wir als SPD-Fraktion sind nicht blauäugig. Wir hyperventilieren nicht ob der guten Rahmenbedingungen des Kreishaushalts. Im Gegenteil: Wir sehen die großen Aufgaben, die wir im Landkreis haben. Wir sehen diejenigen, denen es nach wie vor nicht gut geht, die in realer Existenzangst leben. Und wir fragen uns, warum die Menschen trotz sinkender Arbeitslosigkeit, trotz steigender Löhne so sorgenvoll in die Zukunft blicken, warum Sie solche Daseinsängste haben.
Eine mögliche Antwort: Wir leben in Zeiten eines umfassenden Wandels. Unser multilaterales Weltbild wird zunehmend konterkariert durch wiedererstarkten Nationalismus. Ist Trump Freund oder Feind, ist Putin Feind oder Freund, und was ist der Präsident unserer brasilianischen Partner? Aber an diesen globalen Herausforderungen ändern wir als Landkreis, ändern wie mit diesem Haushalt nur wenig bis nichts!
Die Daseinsängste unserer Kreiseinwohnerinnen und Kreiseinwohnern müssen wir jedoch ernst nehmen, Ihnen müssen wir mit guter Daseinsvorsorge als Landkreis entgegentreten.
Und ja, viele Menschen - 55% der Arbeitnehmer um genau zu sein - sorgen sich im Zeitalter von Industrie 4.0 um ihren Arbeitsplatz, viele Menschen sorgen sich, um eine gute Gesundheitsversorgung, sorgen sich, dass ihre Kinder oder Enkelkinder eine gute Bildung bzw. Ausbildung erhalten, sorgen sich, eine bezahlbare Wohnung zu ergattern oder zu behalten.
Und dazu erwartet unsere Kreisbevölkerung gleichwertige Lebensverhältnisse zwischen urbanem und ländlichem Raum. Stadtlust darf nicht zu Landfrust führen!
Auf diese Sorgen, auf diese Erwartungshaltung haben wir, hat der Kreistag, hat dieser Haushalt Antworten zu geben. Und der Etat 2019 gibt nach Auffassung unserer Fraktion Antworten. Wenngleich nicht alle!
FINANZEN
Gestatten Sie mir, dass ich jedoch zuerst einen Blick auf die finanziellen Rahmenbedingungen werfe. Ohne dabei jede Kennzahl zu kommentieren.
Herr Landrat, ich hätte es ahnen können, dass Sie mit einer Senkung der Kreisumlage in die Sitzung nach Marxzell kamen. Es war so ungewöhnlich ruhig im Vorfeld. Keine Kontaktaufnahme mit den Fraktionsvorsitzenden, einfach irgendwie anders als bei Erhöhungen der Kreisumlage in der Vergangenheit. Und doch, das „2-Punkte-Überraschungs-Ei“ hat gesessen!
Aber Herr Landrat, aber es gab Stimmen in meiner Fraktion, die sagten, wenn Sie zwei Punkte Kreisumlage anbieten, dann wären wohl drei drin gewesen. Spaß beiseite: Heute müssen wir den Landrat teilweise gegen Kritik in Schutz nehmen, er würde leichtsinnig auf Einnahmen des Kreises verzichten. Die GRÜNEN werden diesen Vorwurf im Anschluss vornehm in einen um 1 Punkt geringeren Senkungsantrag verpacken. So haben sich die Zeiten geändert. Vor drei Jahren war der Vorwurf, wir würden den Kreis unterfinanzieren noch uns zugedacht, Herr Kollege Hockenberger.
Aber die SPD-Fraktion verteidigt Sie gerne, Herr Landrat. Wir sind erfreut, dass Sie die Position der SPD-Fraktion übernommen haben. Steter Tropfen höhlt nun mal den Stein! Unsere Position als SPD war und ist nicht neu. Wir haben immer gesagt: Der Landkreis soll über die Kreisumlage bekommen, was er für seine Aufgabenerledigung braucht. Herr Landrat, Sie haben keine Wohltaten verteilt. Kurz zur Einordnung: Wir reden noch immer über den zweithöchsten Betrag an absoluter Kreisumlage seit der Kreisgründung. Herr Landrat, Sie haben den Städten und Gemeinden, die Luft zum Atmen, zum Erfüllen ihrer vielfältigen Aufgaben gelassen.Und dennoch kann der Landkreis seine Schulden um 4 Mio. Euro ab- und die leidige Liquidität um die gleiche Summe weiter aufbauen.
Das Land habe Rahmenbedingungen für einen guten Haushalt 2019 geschaffen, lobten Sie bei der Haushaltseinbringung, Herr Landrat. Das kann man – zumal als CDU-Mitglied – so sehen. Wir als SPD sehen da aber eher den 18monatigen Kampf mit dem Land um eine angemessene finanzielle Ausstattung der Kreise, Städte und Gemeinden. Ein Kampf gegen das Vorurteil, die Kommunen würden den Hals nicht vollkriegen. Rechtzeitig vor den Kommunal- und Europawahlen hat die grün-schwarze Landesregierung nun ihre kommunalfeindliche Haltung mit etwas Make-Up überdeckt. Ein Schelm, der dabei Böses denkt.
Ich habe hier an dieser Stelle auch schon die kommunalen Spitzenverbände getadelt, wegen ihrer allzu feinen Klinge, wegen ihrer teilweisen Ergebenheit gegenüber dem Land. Nun zogen unsere Spitzenverbände endlich und entschieden an einem Strang und siehe da…
DASEINSVORSORGE / GLEICHWERTIGKEIT DER LEBENSVERHÄLTNISSE
Ich komme zurück auf die Daseinsvorsorge, auf den Ausgleich zwischen den urbanen Zentren und dem ländlichen Raum.
KLINIKEN
Gesundheitsversorgung ist Daseinsvorsorge in Reinkultur. Wir als Sozialdemokraten wollten weder in der Vergangenheit, noch heute eine Zentralisierung oder gar Privatisierung der Krankenhauslandschaft in unserem Landkreis. Mit den Standorten Bruchsal und Bretten sind unsere Kliniken gut austariert und aufgestellt. In Bruchsal wird kräftig gebaut, wie wir vorhin bei TOP 3 hörten. In Bretten wird der Neubau in wenigen Wochen bezogen. Fachärztezentren kommen an beiden Standorten hinzu. In Bretten sogar trotz einer fast schon epidemischen Ausbreitung solcher Häuser. In Bruchsal wird es aller-allerhöchste Zeit für das Parkhaus. Ich erinnere dabei an unseren Antrag aus 2015.
Die latente Unterfinanzierung der Krankenhäuser bei den Investitionen und den Betriebskosten bleibt ein ungelöstes Problem. Jedes zweite Krankenhaus in Baden-Württemberg schrieb 2017 rote Zahlen. Besonders für kleine Kliniken wird die Luft immer dünner. Ich behaupte, ohne den Verbund der Regionalen Kliniken Holding (RKH) wären wir bereits erstickt. Aber auch unsere Rationalisierungsreserven sind irgendwann aufgebraucht. Wenn wir weiter ausschöpfen, dann bitte nicht auf dem Rücken der Mitarbeiter und damit auf dem Rücken der Patienten. Diese Rücken sind nämlich irgendwann wund.
Trotz Fehlmedikation durch Bund und Land sind und machen unsere Häuser gesund, können wir in 2019 nochmals den Kapitaldienst absenken. Erfreulich!
ÖPNV
Der ÖPNV dagegen treibt derzeit den Blutdruck der Fahrgäste nach oben.
Einfach einsteigen und pünktlich losfahren, ohne sich vorher im Tarifdschungel zu verirren, ohne lange Fahrpläne zu studieren, bargeldlos ein elektronisches Ticket für verschiedene Verkehrsmittel oder über Verbundgrenzen hinweg erwerben, ein Leihfahrrad oder Carsharing-Auto in die Reisekette einbauen, und zwar alles mit einem Ticket. Wir als SPD wollen für die Fahrgäste, dass das keine Vision bleibt, sondern endlich Standard wird. Aber momentan scheitert das schon beim Grundlegenden. Beim „einfach Einsteigen und pünktlich Losfahren“. Gäbe es eine Fahrgast-Prämie für die Meldung von pünktlichen Stadtbahnen, sie würde derzeit wahrlich keine allzu hohen Ausgaben im Haushalt generieren! Leider!
Die Attraktivität unseres Landkreises hängt mehr denn je von einem funktionierenden öffentlichen Nahverkehr ab. Deshalb fordern wir als SPD ein Mobilitätskonzept, das modern, das einfach, das günstig, das umweltfreundlich und das vor allem verlässlich ist.
SCHULEN
Verlässlich undurchlässig ist leider nach wie vor unser Schulsystem. Eine neue Studie belegt: Junge Menschen aus sozial schwächeren Schichten haben noch immer eine acht Mal geringere Chance auf eine gute berufliche Zukunft als solche aus gutsituierten Familien. Uns als Gesellschaft darf, aber vor allem uns als SPD ist die Vererbung des sozialen Status seit 156 Jahren nicht egal.
Deshalb stehen wir uneingeschränkt hinter der Schulsozialarbeit. Deshalb stehen wir zu dem Mammutprojekt – Weiterentwicklung des Beruflichen Bildungszentrums in Ettlingen – unserer größten Investition derzeit. Deshalb stehen wir zu unseren Sonderpädagogischen Einrichtungen.
Wenn nun das Land dem gravierenden Lehrermangel an unseren Berufsschulen mit der gleichen Verve entgegentritt, dann kann es besser werden. Wenn 7% der Gymnasiasten 2017 Eltern mit Hauptschulabschluss hatten, dann muss etwas an unserem Bildungssystem besser werden.
350.000 Euro erhalten wir vom Land für Lernfabriken 4.0 in Bretten und Ettlingen. Respekt, das hat Nils Schmid damals nicht hingebracht. Das hilft unseren Unternehmen und ihrem Händeringen nach Fachkräften. Das tut unseren Berufsschulen gut. Das macht sie tauglich für den Digitalisierungsprozess.
BREITBAND
Für 4.0. brauchen wir schnelles Internet. Und gerade hier vereinigen sich die Schlagwörter von Daseinsvorsorge und gleichen Bedingungen von Stadt und Land. Über das Marktversagen brauche ich nicht zu philosophieren. Als Antwort haben wir die Breitbandgesellschaft des Landkreises Karlsruhe (BLK) gegründet. Wir sind ein gutes Stück vorangekommen. Aber manchmal habe ich das Gefühl, wir sind aus dem breitbandlosen Neandertal direkt ins digitale Irrenhaus aufgestiegen. Dreifachverlegung von Glasfaser in ein und derselben Straße ist ein wirtschaftliches Desaster. Verdienst unserer BLK bleibt es zumindest, dass ohne sie in vielen Straßen nicht ein Kabel liegen würde.
DIGITALISIERUNG
Glasfaser ist eine wesentliche Voraussetzung der Digitalisierung. „Die Fabrik der Zukunft wird zwei Angestellte haben, einen Menschen und einen Hund. Der Mensch ist dazu da, den Hund zu füttern. Der Hund, um den Menschen davon abzuhalten, die Geräte anzufassen“, sagt der Wissenschaftler Warren G. Bennis. Das mag vielleicht lustig klingen, den Menschen macht die Digitalisierung aber zunehmend Angst. Wir werden und wollen die Digitalisierung nicht aufhalten. Digitalisierung beinhaltet auch Chancen für den ländlichen Raum. Aber Digitalisierung ist kein Allheilmittel. Sie wird und kann den Menschen nicht ersetzen – nicht im Landratsamt, nicht in der Fabrik und schon gar nicht am Kranken- oder Altenbett.
BEZAHLBARER WOHNRAUM
Wie gesagt, wesentliche Aufgabe des Kreistags ist es, die Lebensbedingungen der Einwohner sozial, gerecht und zukunftsorientiert zu gestalten. Unter diesen Prämissen frage ich mich aber, wie kann sich der Bauhofarbeiter, die Erzieherin, der Polizist heute eine Wohnung leisten? Wie soll der „normale“ Einwohner die immer weiter steigenden Mieten bezahlen? Das treibt uns als Sozialdemokraten im Kreistag seit 2015 um, als wir den bezahlbaren Wohnraum und die Baulandverfügbarkeit hier erstmals zum Thema machten.
1.729 Neubauwohnungen sind 2017 im Landkreis entstanden. Das klingt viel, ist aber viel zu wenig. Allein 14.000 Zuzüge in den Landkreis in 2015 widerlegen das „Viel“.
Keine Frage, die anderen Fraktionen sehen auch den latenten Wohnungsmangel. Ich will das gar nicht in Abrede stellen. Ja, und auch die Verwaltung ist verbal aufgeschlossen und doch verhaltensstarr – frei nach dem Motto: „Klar, muss dringend was geschehen, aber wo sollen wir das Geld, die Grundstücke oder das Personal für eine Kreiswohnungsbaugesellschaft hernehmen - wie sie die SPD wünscht?“ Hinzu kommt – und das gestehe ich zu -, dass v.a. die Großen Kreisstädte eigene Wohnungsbaugesellschaften besitzen. Das nutzt aber den kleineren Gemeinden mit Wohnraumbedarf wenig.
Deshalb macht die SPD-Fraktion heute zwei neue Vorschläge und bittet die Verwaltung um objektive Prüfung im Laufe der nächsten Wochen/Monate:
1.)
Wir bitten zu prüfen, wie das erfolgreiche Modell der „Wohnraumakquise durch Kooperation“ der Stadt Karlsruhe auf den Landkreis und seine Kommunen übertragen werden kann. Es geht uns, um eine soziale Wohnraumversorgung am angespannten Wohnungsmarkt. Wohnraum für von Obdachlosigkeit bedrohte, aber auch sonstige sozial benachteiligte Menschen. Die Stadt Karlsruhe erkundet in diesem Modell die Leerstände und geht auf die Eigentümer zu. Der Vermieter erhält bei Mitwirkungsbereitschaft einen Sanierungszuschuss aus Mitteln des Haushaltes der Stadt Karlsruhe. Der Eigentümer bringt einen Eigenanteil ein. Die Stadt übernimmt gegenüber dem Vermieter eine Mietausfallgarantie für sechs Jahre. Das Belegungsrecht der Stadt Karlsruhe beträgt zehn Jahre.
Wir beantragen: Die Stadt Karlsruhe möge ihre Erfahrungen mit dem Modell im Kreistag bzw. in seinen Ausschüssen vorstellen.
2.)
Und wir haben einen zweiten Prüfauftrag für die Verwaltung. Eine zweite Idee, wie wir nicht selbst bauen müssen und doch Gewähr für bezahlbaren Wohnraum tragen können: Mit 1 Million Euro z.B. pro anno könnten etwa Belegungsrechte von Wohnungsbaugesellschaften und Investoren oder anderen Eigentümern gekauft werden. Eine Million jährlich würde die Sicherung von Belegungsrechten für 30 Wohnungen zu je 30.000 Euro für 30 Jahre bedeuten. Ein Million Euro jährlich würde geschätzt bis zu 130 Menschen pro Jahr mit Wohnberechtigungsschein eine bezahlbare Wohnung für die mittelbare Zukunft ermöglichen.
Dies wäre u.E. ein überschaubarer, aber gleichzeitig ein vorbildlicher Beitrag des Landkreises zur Bekämpfung der Wohnungsnot und der Senkung der Mietpreise. Ein Beitrag für Menschen „ohne extra dickes Miet-Portemonnaie“.
Wir beantragen, die Verwaltung möge bis zum Sommer aufarbeiten, wie ein solches Modell in anderen Kommunen funktioniert und eruieren, wie viele Belegungsrechte für Mietwohnungen überhaupt zu kaufen wären.
Ich komme zum Schluss. Sie haben vielleicht bemerkt, ich habe bis jetzt nicht einmal das Wort „Flüchtlinge“ benutzt. Nicht, weil alles in Butter wäre. Nein, bei der Integration müssen wir noch viel Milch zu Butter schlagen. Aber ich glaube, wir sollten wieder zu dem zurückkehren, was die Menschen bei uns wirklich beschäftigt. Das habe ich in den letzten Minuten versucht.
Wir müssen nicht schwarzsehen. Vieles ist gut, manches kann noch besser werden – auch im Landkreis, keine Frage. Aber eigentlich hätten u.E. mindestens 83% der Menschen Grund, optimistisch nach vorne zu schauen. Wir tun es als SPD-Fraktion und arbeiten weiter
gerne für die Menschen in unserem Landkreis. Und mit den anderen Fraktionen hier im Kreistag. Wir stimmen dem Haushalt und den weiteren TOP‘s 5 - 10 zu. Und danken Ihnen, Herr Landrat, Herrn Finanzdezernent Watteroth sowie der gesamten Verwaltung für die gute Zusammenarbeit.